Wirtschaftswissen mangelhaft – sind die Deutschen alle dumm?
Stand: 10.05.2023
Weltweit ist Deutschland berühmt für technische Innovationen und die florierende Automobilwirtschaft. Darüber hinaus gelten die Deutschen als das Volk der Dichter und Denker. Umso erschreckender sind die Ergebnisse einer aktuellen Studie vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, die den Deutschen mangelhafte Kenntnisse in puncto Wirtschaft bescheinigt. Dabei wäre eine gute Finanzbildung wichtig, um die nächste Generation auf eine komplexe wirtschaftliche Welt vorzubereiten.
Bildungslücke Was und wo ist Wirtschaft? Warum Kenntnisse haben? Politik und Wirtschaft Wirtschaftswissen lohnt sich Fazit
Die große Bildungslücke
Unter Leitung des Berliner Wirtschaftswissenschaftlers Gerd Gigerenzer erschien kürzlich eine Studie zum Thema „Finanzwissen“. Darin sollten die 1.000 Teilnehmer Fragen über die Wirtschaft beantworten. Über 70 % der Befragten scheiterte an einfachster Zinseszinsrechnung, wie sie bei Krediten vorkommt. Nur knapp die Hälfte von ihnen wusste, dass Dänemark eine eigene Währung hat.
Von den 24 Fragen konnten im Schnitt gerade einmal 14 richtig beantwortet werden. Nach Meinung der Studienführer weisen diese Resultate auf „schwerwiegende Wissenslücken über ökonomische Fakten und Zusammenhänge“ hin.
Einen ausführlichen Artikel dazu können Sie im Handelsblatt nachlesen.
Im Zusammenhang mit der Studie fordern die Wissenschaftler eine Umstrukturierung des gegenwärtigen Lehrplanes. Themen wie Geldanlagen und Handyrechnungen müssten ihrer Meinung nach dringend auf die Bildungsagenda.
Was und wo ist Wirtschaft?
Deutschland gilt im internationalen Vergleich als führende Industrienation. In Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt sind wir die größte Volkswirtschaft Europas. Aber: Hätten Sie das gewusst? Wie kann es sein, dass ein Land mit derartiger Wirtschaftsleistung Bildungsdefizite hat, wie sie in der Studie von Gigerenzer offenbart wurden?
Wenn wir über Wirtschaft sprechen, meinen wir dann die Börse? Oder den Export/Import-Markt? Reden wir dann über Anlagemöglichkeiten, Kredite und Steuern? Oder werfen wir alles in einen Topf? Angesichts der Forschungsergebnisse muss wohl Letzteres vermutet werden.
Bereits im Jahr 2010 setzte eine andere Studie deutliche Warnsignale. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass sich Menschen mit besonders geringen Kenntnissen von der Finanzwelt und mangelhaften Rechenfähigkeiten besonders häufig Hypothekenkredite aufschwatzen ließen, die sie unmöglich bedienen konnten. Jeder vierte Deutsche wusste darüber hinaus nicht, dass er in einer sozialen Marktwirtschaft lebt. Bei den damals gestellten Fragen handelte es sich um „minimales Wirtschaftswissen“, so Marketingprofessor Peter Kenning.
Wozu brauche ich Wirtschaftskenntnisse?
Ökonomisches Wissen ist für den Einzelnen scheinbar nicht überlebensnotwendig. Dies haben wir einem vergleichsweise sehr stabilen Gesellschaftssystem zu verdanken, in dem wir uns darauf verlassen können, dass der Bäcker auch morgen noch Brötchen in seiner Auslage hat – hoffentlich zum gleichen Preis wie heute. Allerdings ist ein Preis nicht für immer festgeschrieben. Was passiert, wenn die Brötchen doch teurer werden? Liegt das an der Inflation oder verfolgt der Bäcker seine ganz eigene Preispolitik mit dem Fokus auf maximalen Profit?
Wirtschaft ist keine vom Alltagsleben abgegrenzte Sphäre, in der Banker und Politiker agieren. Jeder Bürger ist Bestandteil dieser Gesellschaft und nimmt automatisch Einfluss auf den Markt.
Wenn wir Kredite aufnehmen, Geld sparen, Einkaufen gehen, im Ausland Urlaub machen, Haushaltspläne aufstellen, Tanken oder uns ein neues Auto kaufen wollen, können uns Wirtschaftskenntnisse nur nützen. Wir empfehlen Ihnen in diesem Zusammenhang einen Blick in unser Lexikon.
Politik ohne Wirtschaft?
Für ein Verständnis globaler Zusammenhänge ist ökonomisches Wissen notwendig. Wir können die Außenpolitik Deutschlands nicht verstehen, wenn wir wirtschaftliche Bündnisse wie das Transatlantische Freihandelsabkommen nicht kennen. Die Einschätzung der Bundesbürger spielt dabei eine maßgebliche Rolle. So gab der größte private Konzern Chinas Huawei in diesem Jahr eine Studie mit dem Titel „Deutschland und China – Wahrnehmung und Realität“ in Auftrag.
Darin wurden unter anderem die Kenntnisse der Deutschen in Bezug auf den asiatischen Partner untersucht. Dabei kam zutage, dass 60 % der Deutschen den Einfluss Chinas auf unsere Wirtschaft als groß bzw. sehr groß einschätzten. China wird von 21% der Befragten als wirtschaftliche Bedrohung für Deutschland eingeschätzt. 80 % sind überzeugt davon, dass einheimische Hersteller durch chinesische Produkte verdrängt würden. Was davon ist Vorurteil und was Realität? Braucht es sogar eine wirtschaftliche Aufklärung?
Bei der Bildung ansetzen
Eine einzelne Ursache für die mangelnden Finanzkenntnisse der Deutschen gibt es nicht. Stattdessen handelt es sich um eine Verzahnung verschiedener Probleme. Das minimale Wirtschaftswissen nimmt mit steigendem Einkommen und Alter nachweislich zu. Ebenso beantworteten Hochschulabsolventen die Fragen beider Studien des Max-Planck-Institutes tendenziell besser als Befragte, die an keiner Hochschule waren.
Der gemeinsame Nenner ist die Bildung, oder besser gesagt: Die Schulbildung. Es fehlt Unterrichtsstoff, der sich ausreichend mit Wirtschaft befasst. Selbst im Abitur kommen Schüler mit dem Thema kaum in Berührung. Chemie, Physik und alle musischen Fächer geben keinen Raum für ökonomische Theorien. Höchstens im Fach Mathematik tauchen Beispiele aus der Wirtschaft in Klausuren auf, um die Zinsrechnung zu veranschaulichen. Doch reichen diese sporadischen Beispiele wirklich aus? Vermitteln sie den Schülern nützliche Kenntnisse über das Finanzwesen?
Wirtschaftswissen lohnt sich
Eine zusätzliche Lehreinheit Wirtschaft würde jungen Menschen das notwendige Rüstzeug mitgeben, um sich sicherer und klüger in der Welt zu bewegen. Wie wir festgestellt haben, ist die Wirtschaft kein abgegrenzter Raum bestimmter Akteure, sondern ein wesentlicher Bestandteil alltäglichen Lebens. Kursangebote für interessierte Schüler könnten dabei helfen, Bildungslücke zu schließen.
Gefragt sind auch die Eltern, die ihren Kindern die Bedeutung ökonomischen Wissens für das eigene Leben und die gesellschaftliche Teilhabe vorleben und begreiflich machen können.
Dazu ist es natürlich notwendig, auch als Erwachsener eventuell fehlende Kenntnisse nachzuholen und das eigene Wirtschaftswissen aufzufrischen. Vielleicht bekommen Sie Lust darauf den Wirtschaftsteil ihrer Lieblingszeitung zu lesen. Oder Sie werfen einen Blick in Online-Portale der Business-Blätter. Die aktive Teilnahme an wirtschaftlichen Prozessen kann sehr spannend sein!
Tipp
Stellen Sie sich vor, Sie unterstützen mit Ihrem Kapital eine ökologisch nachhaltig produzierende Firma oder ein innovatives StartUp. Neben dem schönen Gefühl, ein sinnvolles Projekt zu fördern, können Sie Ihre Finanzen klug anlegen.
Inzwischen existieren auch zahlreiche faszinierende Dokumentationen über die Finanzwirtschaft wie zum Beispiel „Der Banker“. Das mediale Interesse an diesen Themen hat nicht zuletzt durch die Immobilienkrise 2008 stark zugenommen.
Fazit
Die Forschungsergebnisse sollen nicht bloßstellen, sondern aufwecken. Noch sind die Folgen mangelnder Finanzbildung nicht so verheerend, dass es kein Zurück mehr gäbe. Reformen und Eigenverantwortung wären allerdings notwendig, um künftige Generationen auf eine komplexe und wirtschaftliche Welt vorzubereiten.