Die Schere zwischen arm und reich wird größer

Stand: 18.09.2021

Es gibt dieses Mantra, das wir von Journalisten wie von Wirtschaftsgrößen und Politikern wieder und wieder hören: „Deutschland ist ein reiches Land.“ Würden Sie das unterschreiben? Nun ja, zumindest im internationalen Vergleich stehen wir hervorragend da, wenn wir uns das Bruttoinlandsprodukt anschauen. Zur selben Zeit ist die Vermögensungleichheit so groß wie in kaum einem anderen Land der EU. Wie kann das sein?

Stumpfe Werkzeuge Politisches Doppeldenk Die Lage der Arbeitnehmer Ein Blick in die Zukunft Bedenken auch von karitativer Seite Fazit

Stumpfe Werkzeuge

Die Wahrheit kann manchmal hart sein. Und so ist es auch mit der wahrgenommenen Situation des Wohlstands und der realen Lage von Millionen Menschen hierzulande. Immer wieder ist von Deutschlands wirtschaftlicher Stärke die Rede. Die Regierung beschließt Rettungspakete in Milliardenhöhe und selbst dem gutgläubigsten Bürger wird langsam klar, woher diese Milliarden kommen.

Doch es ist ja nicht einmal sicher, wie viel Vermögen überhaupt in Deutschland existiert. Denn die Vermögenssteuer, die in ihrer Erhebung solche Erkenntnisse liefern könnte, wurde 1995 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Immobilienwerte wären gegenüber Kapitalvermögen günstiger gestellt gewesen, hieß es. Die damalige Bundesregierung ließ das Zeitfenster für einen Reformentwurf verstreichen, was zur gänzlichen Abschaffung der Vermögenssteuer führte.

„Die 62 reichsten Personen auf der Welt haben genauso viel Vermögen wie die finanziell untere Hälfte der Menschheit, wie 3,6 Milliarden Menschen.“ – Interview mit Gregor Gysi bei YouTube

Heute hat sich an diesem trüben Nebel des Vermögens wenig geändert: So ist auch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vom Statistischen Bundesamt für die Erfassung von Vermögen keine Hilfe. Sie wird nur alle fünf Jahre durchgeführt und klammert Schwerverdiener mit einem Monatseinkommen in Höhe von 18.000 € aus. Das Statistische Bundesamt schreibt auf seiner Webseite:

„Ferner liefert die EVS keine Angaben für Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnetto­einkommen von 18 000 Euro und mehr, da diese in der Regel nicht in so ausreichender Zahl an der Erhebung teilnehmen, dass gesicherte Aussagen über ihre Lebens­verhältnisse getroffen werden können.“

Noch Fragen?

Politisches Doppeldenk

Die heutige Vermögensungleichheit ist nach Meinung von Experten das Ergebnis verhängnisvoller Entscheidungen und Einflüsse. Damit ist nicht nur die allseits bekannte Agenda 2010 gemeint. Schauen wir uns die vor Jahren getätigten Beschlüsse und ihre Folgen im und für den Einzelnen an:

Einkommensteuersenkung

Statt 25 % wurden nun zu Zeiten Schröders nur noch 15 % Einkommensteuer veranschlagt. Auch der Spitzensteuersatz betrug ab dem 01. Januar 2005 nur noch 42 % statt 52 %. Die Konsequenz: Das betrifft letztendlich alle, denn den Kommunen fallen Einnahmen aus der Einkommenssteuer in Milliardenhöhe weg.

Halbierter Körperschaftsteuersatz

Die Körperschaftsteuer purzelte schneller als ein Stein den Berghang hinab. Von 40 % speckte man glatt auf 20 % und 2008 im Rahmen der Unternehmensteuerreform bis auf 15 % ab. Eine straffe Diät, will man meinen. Zumindest die Ergebnisse daraus sind dünn: Lediglich 1,5 % des gesamten Steueraufkommens in Deutschland machten die Erträge der Körperschaftsteuer aus.

Erhöhung der Mehrwertsteuer

Zum 01. Januar 2007 wurde die Mehrwertsteuer von 16 % auf 19 % erhöht. 396 Abgeordnete stimmten damals für das sogenannte „Haushaltsbegleitgesetz 2006“. Begleitet hat es die Privathaushalte in Deutschland höchstens in schwierigere Verhältnisse. Zuvor waren Erhöhungen um einen Prozentpunkt vorgekommen – doch der desolate Bundeshaushalt mit Schulden in Billionenhöhe musste schnell ausgebessert werden.

Die Lage der Arbeitnehmer

Auf der anderen Seite haben strukturschwache Arbeitnehmer spätestens seit der Agenda 2010 wenig zu lachen. Denn die Reallöhne sind in den vergangenen Jahrzehnten kaum gestiegen. Und selbst mit dem Mindestlohn leben Schätzungen zufolge knapp 2 Millionen Menschen in Deutschland nach wie vor unterhalb der Armutsgrenze.

Man könnte ewig so weitermachen, doch wir wollen Sie nicht mit Zahlen überfrachten, sondern Ihnen einen Eindruck der vielen augenscheinlich wohlklingenden Maßnahmen verschaffen, die sich in Wahrheit nachteilig auf Geringverdiener auswirken.

Selbst der Disparitätenbericht der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) kommt zu dem Ergebnis:

„Deutschland driftet weiter auseinander.“

So heißt es außerdem:

„Trotz steigender Steuereinnahmen bei Bund und Ländern und guter Konjunktur hat sich die Finanzlage vieler Kommunen in den vergangenen Jahren zunehmend verschlechtert.“

Das Problem der Verschuldung besteht also nicht nur auf privater, sondern auch auf kommunaler Ebene. Während der Süden Deutschlands vergleichsweise gut abschneidet, ist die Lage in Ostdeutschland, insbesondere in Hinblick auf die Arbeitslosenquote prekär. Doch darin sieht die Bundesregierung keine Probleme, wie deren vierter Armuts- und Reichtumsbericht offenbart. Darin steht:

„Trotz der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe, etwa Alleinerziehende, Personen mit Migrationshintergrund, Arbeitslose und Personen mit schlechter Gesundheit, kann es gelingen, sozial aufzusteigen und einen niedrigen Lebensstandard zu überwinden.“

An anderer Stelle im Bericht heißt es jedoch:

„In den letzten Jahren hat sich die Nachfrage an Arbeitskräften deutlich zugunsten der höher Qualifizierten verschoben. Im Jahr 2009 lag die Erwerbslosenquote ungelernter Erwerbspersonen bei knapp zwölf Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie bei Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung (5,3 Prozent).“

Das sind nicht die einzigen Widersprüche im Bericht. Und auch im Alltag finden sich Beispiele für gegensätzliche, in sich unstimmige Überzeugungen. Wenn jemand arbeitslos ist, dann ist er selbst schuld. Oder: Wer arm ist, der hat sich eben nicht genug angestrengt. Armut ist noch immer ein Stigma und die bedrohliche Kulisse, hinter die viele Bürger lieber nicht schauen wollen.

Ein Blick in die Zukunft

Dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, ist kein Naturgesetz, sondern realpolitische Tragik. Denn die seit der Agenda 2010 mehr als 25 % im Niedriglohnsektor arbeitenden Deutschen lassen auf die steigende Tendenz künftiger Altersarmut schließen. Während die Alten von heute noch auf eine vergleichsweise sichere Rente bauen konnten, wird es in einigen Jahren schon ganz anders aussehen.

In Sachen düsterer Ausblick scheinen sich die großen Parteien ausnahmsweise einig zu sein, denn auch die CSU erklärte die Riester-Rente für gescheitert. Darüber hinaus sucht die Kanzlerin den Konsens und will der Altersarmut vorbeugen. Interessant wäre, zu erfahren, wie das eigentlich geschehen soll. Was konkret bietet Schutz vor der Armut? Werfen wir doch noch einmal einen Blick in den Armuts- und Reichtumsbericht:

„Lebensbegleitende Weiterbildung sorgt dafür, dass Fähigkeiten und Fertigkeiten den sich stetig wandelnden Anforderungen der Arbeitswelt angepasst werden.“

Und was geschieht mit denen, die diesen hohen Anspruch an Flexibilität nicht erfüllen? Werden die im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft aufgefangen? Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein.

Bedenken auch von karitativer Seite

Die Verbände schlagen ebenfalls Alarm. Auf der Webseite der Caritas heißt es:

„Insgesamt ist absehbar, dass Altersarmut in Zukunft immer mehr zu einem gravierenden Problem wird. Zum einen, weil diskontinuierliche Erwerbsverläufe zunehmen. Zum anderen, weil die Rentensenkungen kaum durch geförderte private Altersvorsorge aufgefangen werden können.“

Damit steht die Caritas nicht allein da. Wolfang Stadler von der Arbeiterwohlfahrt wird sogar noch deutlicher:

„Doch die häufig übliche Haltung, der oder die Einzelne trage allein die Verantwortung, sich aus problematischen Situationen zu befreien, ist wenig zielführend. Es muss an institutionellen Strukturen gearbeitet werden, die arm machen und dafür verantwortlich sind, dass sich Armut vererbt.“

Verbände sprechen aus, was die Politik verschweigt: Die Armut in Deutschland nimmt zu. Und es gibt kein Patentrezept dafür. Vielmehr wird an vielen Bränden gleichzeitig mit zu wenig Wasser gelöscht. Besonders gefährdet sind den Einschätzungen der Verbände nach Alleinerziehende und Arbeitslose, aber auch Rentner. Trotz Rekordbeschäftigung betrug laut dem Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes die Risikoquote 15,4 %, im Jahr 2014 in die Armut zu rutschen.

Fazit

Vielleicht wäre es gerecht, über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer nachzudenken. Oder überhaupt erst einmal das Vermögen in Deutschland zu erfassen. Wege, um die Armut zu verringern, gäbe es viele. Entscheidend ist, zumindest einen davon gemeinsam als Gesellschaft zu gehen.


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